Es ist so, als ob ich mit Autismus eine sehr spezielle 'Krankheit' habe.
Eine, die eigentlich keine ist, doch sich so anfühlt.
Es ist mehr ein… Anders sein - das erst durch die strukturellen Barrieren und Unverständnis unserer Gesellschaft wirklich zur Behinderung und Leiden wird.
Mir selbst wurde dieses Anders sein ein Leben lang nicht geglaubt. So überzeugend nicht geglaubt, dass ich mir selbst und meinen Empfindungen nicht geglaubt habe.
Stattdessen glaubte ich die Erklärungen Anderer für mein Struggle: dass ich faul bin, dumm, dass ich nicht will. Denn wenn ich nur wollte, könnte ich ja. Oder könne es zumindest lernen. Denn andere können es ja auch. Und hier und da sei ich ja auffallend fähig. Daher lasse sich mein ‘komisch’ und ‘Anders’ sein, sich nicht sinnhaft anders erklären außer durch Absicht.
Und so kämpfe ich mich stark leidend, einsam und unverstanden doch mit größter Anstrengung durch das Leben. Glaubend mit genügend Anstrengung irgendwann auch “gut genug” zu sein.
Auf der Suche nach dem, was ich eigentlich brauchte: Support, Unterstützung und inklusives Teilhabe für das, was ich bin:
Ein Mensch wie alle anderen auch - doch mit anderem Betriebssystem auf gleicher Hardware.
Nicht besser. Nicht schlechter. Anders.
Regenbogen-Unendlichkeitszeichen - das von der Community selbst gewählte Symbol für Neurodiversität. Im Gegensatz zum umstrittenen Puzzleteil, das Autismus als "Rätsel" oder "Defizit" darstellt, steht die Unendlichkeitsschleife für die natürliche Vielfalt menschlicher Gehirne und das Spektrum neurodivergenter Erfahrungen. Ein Symbol der Selbstbestimmung statt der Pathologisierung.
Eine Metapher:
Ich bin wie ein Linux im Windows-Netzwerk – das mit aller Mühe irgendwie schafft, die nicht für einen geschaffenen Programme und Protokolle virtualisiert zum Laufen zu bringen. Und das davon ausgeht, dass bei allen anderen die Lüfter ähnlich hoch drehen müssen dafür.
Bis… bis es irgendwann wirklich nicht mehr geht. Oder doch zu auffällig wird.
Bei manchen, denen es ähnlich geht wie mir, macht vielleicht ein “Windows-Admin” dann diese Entdeckung:
Ah, da läuft das falsche Betriebssystem bei Ihnen. Warten Sie mal, das kriegen wir gerade gebogen! Schließlich habe ich als Admin schon oft so eine Fehlinstallation gesehen.
Und die meisten freuen sich - zunächst.
Weil: Erklärung. Und geglaubt? Endlich?
Auch wenn die Botschaft der ‘Entdeckenden’ sagt: Disorder, Störung, Syndrom.
Diese Botschaft klingt nicht nett. Doch egal, endlich geglaubt.
Und zwar von Menschen, die einem versichern: Sie kennen sich aus!
Und dennoch scheinen sich diese Menschen im geheimen mit leichter Sorge zu fragen, woran es wohl liege. War die Mutter zu alt? Hat sie das Kind nicht gut genug geliebt, als es klein war? Vielleicht die Impfung zur falschen Zeit? Oder doch ein Trauma in frühen Jahren - und verwächst sich das nicht normalerweise...
Dass ich einfach so bin, wie ich bin. Und dass dieses Anders - doch gleichgut ist. Diese Botschaft wird nicht deutlich. Vielleicht ist sie da. Doch wenn sie es ist, dann gut versteckt.
Wird doch schließlich gemessen am 'Normal' (oder statt normal auch kritischer neuronormativ genannt). Und alles, was von diesem ‘Goldstandard' abweicht, ist etwas Pathologisches. Etwas Krankes, Gestörtes.
(Buchempfehlung hier Autistisch kann ich fließend von Stephanie Meer-Walter)
Normal - das ist, wie der Windows-Admin sich die Computerwelt vorstellt.
Ach… Aber egal, Hilfe ist nahe nach der Entdeckung! Schließlich ist die Welt, wie sie ist, ja doch in Ordnung. Nur müsse ich halt lernen, darin klarzukommen. Dafür therapiere und trainiere man die Betroffenen schon.
Wo ich manche nach ihrer ‘Entdeckung' leidvoll habe sagen hören, sie wären gerne viel früher schon entdeckt worden für das, was sie sind - im Glauben, dass dies weniger Leid und mehr Hilfe bedeutet hätte in ihrem Leben - da fühle ich anders.
Zu viel habe ich von ABA (wikipedia Link) gelesen. Von der Eugenik. Vom Nicht-Aufarbeiten der Kranken- und Behindertenmorde der NS-Zeit in unserer Schulmedizin.
(Buchempfehlung hier “Geniale Störung” sowie “Neurotribes” von Steve Silbermann)
Und ich spüre die Sorge, was so ein brutales System vor Jahrzehnten (wo es noch schlimmer war) für mich bedeutet hätte. Ein System, das in guter Absicht auch folterte. Das einst sogar tötete. Und teils ausgrenzt und stigmatisiert – bis heute.
Was es bedeutet hätte, wäre ich früher schon ‘entdeckt' worden. Was, wenn es für mich keine Option gewesen wäre, durch gutes Verstecken und Simulieren vom Normal-Sein irgendwie durchzukommen. Ich will es mir nicht ausmalen.
Das “Durchkommen” war die Hölle, ja.
Und die damals verfügbare "Hilfe" hätte es vielleicht besser gemacht. Wahrscheinlich aber schlimmer.
Heute, nach über 36 Jahren erfolgreichen ‘Virtualisierens’ und Simulierens eines Normal-Seins, merke ich jedoch: Ich kann nicht mehr.
Ich las und erfuhr zum ersten Mal, dass es andere Betriebssysteme im Gehirn gibt. Hatte davor nebenbei - für mich - die Werkzeuge entwickelt, in mein eigenes ‘System’ zu schauen. Und schaute nach.
Entdeckte mit Sicherheit selbst: Ja, ich bin Autist.
So gut versteckt, dass niemand es ahnte. Besonders ich nicht. Hochsensibel vielleicht - doch das war es schon. Autist*innen waren davor Sheldon Cooper und Rain Man. Und so war ich nicht.
Und ein kleiner Hinweis nebenbei, liebe “Windows-Admins”:
Nein, ich habe nicht Autismus, so wie jemand einen Schnupfen oder ein gebrochenes Bein hat. Ich leide auch nicht “an Autismus” - genauso wenig wie jemand an Weiblichkeit leidet sondern weiblich ist. Und ich bilde es mir auch nicht ein - wegen der Medien.
Ich bin so.
Graffiti an einer Wand: "Probably your [sic] really worth it." - Vermutlich bist du tatsächlich etwas wert.
Und ich suchte zum ersten Mal Hilfe, Anfang des Jahres 2024. Und stellte bei bisher allen Fachstellen und Expert*innen zu dem Thema mit Schrecken fest: Diese kennen sich nicht aus. Nicht so, wie es mir hilfreich wäre. Teils wollen sie mich “normal" machen - sofern sie mir überhaupt glaubten.
Einige sagten, ich könne kein Autist sein. Autisten würden nicht sympathisch sprechen. Diese könnten nicht in die Augen schauen, nicht reden. Man kannte ja mal einen Autisten (meist ein Neffe) - dieser sei ganz anders gewesen als ich. Was, du hast gearbeitet? Als richtig krasser Experte in deinem Feld? Unmöglich. Außerdem hätten Autisten keine Emotionen, keine Gefühle. Und vor allem könnten sie sich nicht empathisch in andere hineinversetzen.
Das alles seien die Gründe, dass ich kein Autist sein kann.
Und ob ich nicht schon mal über folgende “Fehldiagnosen" nachgedacht und Gruppentherapie probiert hätte? Aber keine Sorge wegen meiner “Verwirrung" - so wie ich bildeten sich das heute viele ein. Wegen der mittlerweile zu starken Repräsentation von Autist*innen in den Medien.
Das alles sagten Expert*innen in dem Bereich zu mir. Voller Überzeugung ihres Amtes und ihrer Autorität. Bei denen ich war, um Hilfe und Rat zu finden.
Und wäre ich mir nicht so sicher. Hätte ich nicht selbst über eineinhalb Jahre zutiefst geforscht und von den Pionier-Arbeiten anderer Autist*innen profitiert. Hätte mein Leben zuvor mir nicht beigebracht, das überhaupt zu können. Mich so stark trainiert, dass ich in mir die Möglichkeit ertragen kann, dass vielleicht nicht ich, sondern unser System einen Fehler hat.
Und den Mut. Die Skills. Vielleicht sogar den Wahnwitz zu glauben, dass es anders geht. Und anders gehen muss. Dass ich dafür die extra geschulten Expert*innen stoppe - und nicht allein den ‘Fehler’ in mir suche, sondern - oh Schreck - im System. Und ihn dort plötzlich in so großer Deutlichkeit finde.
Anfangs hoffte ich, ich irre mich. Zu gewohnt bin ich es noch immer, meinem eigenen Empfinden nicht zu glauben. Die anderen in Autorität müssen es doch besser wissen.
Es war teils echt schwer bei meiner Suche nach Hilfe, nicht doch wieder ins ernsthafte Zweifeln zu kommen, ob ich mir nicht doch alles nur einbilde. Und nur “mich mal nicht so haben solle"…
Heute habe ich meinen zweiten Termin bei etwas, das angeblich zwar leicht zu bekommen ist, doch für viele, die es versuchen, unmöglich scheint: ein Autismus-Diagnose-Termin.
Für eine Diagnose. So richtig offiziell, mit Stempel und allem. Der vermeintliche Passierschein, dass ich Hilfe speziell für das bekomme, wie ich bin. Und Menschen nun vielleicht überzeuge, die nicht mir, doch einem Stück Papier glauben.
Ich weiß noch nicht, wie das sein wird. Meine Hoffnungen waren mal groß. Doch sind es nicht mehr - je mehr ich erfahre, was es für andere bedeutete, die auch ihre Hoffnung auf eine Diagnose setzten.
Um diesen Termin zu bekommen, musste ich ein Jahr lang kämpfen und Glück haben. Genau wissen, was ich habe, um jemanden in Hessen zu finden, der mich diagnostizieren kann.
Bei den Stellen in Franken und Bayern wird gelacht, frage ich nach einem Termin. “Ausgebucht bis 2028 – neue Termine nehmen wir nicht mehr an."
Oder ich nervte genug bei einer privaten Fachklinik für Autismus in München mit Anrufen alle zwei Wochen, damit ich nicht erneut ‘vergessen werde’ und eine Chance habe, nach fast einem Jahr vorzusprechen. Wo ich dann jedoch vor Ort ein solches organisatorisches Chaos erlebt habe, eine solche Unkenntnis und Desinteresse der Ärztin zum Thema Autismus, wie ich es mir nie hätte vorstellen können.
Mein Erleben dort wird aber mal eine andere Geschichte.
Doch zurück: Die Ärztin in Hessen ist selbst Autistin. Und sie sagte direkt nach zwanzig Minuten, dass es mehr als offensichtlich sei, dass ich Autist bin. Sie überlege gerade nur noch, ob auch hochbegabt.
Doch ansonsten glaubt sie stark an das System und wirkte recht… konservativ. Und mein bisher beschriebenes Erleben - keine Hilfe und kein Verstehen im System zu finden - könne daher nicht stimmen.
Also auch hier kein Verstehen. Aber egal nach einer gewissen Trauer Phase.
Damit muss und werde ich arbeiten und leben. Geht es mir zwischenzeitlich doch allein um eine Diagnose. Den Wunsch, von der Schulmedizin verstanden zu werden, habe ich schon aufgegeben. Ich wollte nur sichergehen und alles probieren, was mir dort möglich scheint.
Buchauswahl eines Standes vom Autismus Kongress.
Organisiert und gehalten von Autist*innen und neurodivergenten Menschen.
Eine große Empfehlung, mehr Infos auf www.autisten.info
Die einzigen Expert*innen, die ich bisher gefunden habe, die mir glaubten und durch Wissen, Verstehen und eigene Erfahrungen wirklich helfen konnten - das waren andere Autist*innen. Die sich selbst zum Ziel gesetzt haben, dass nun auch endlich Autisten in eigener Sache einstehen können. Ja, müssen!
Und das nicht mehr nur allein den ‘Windows-Admins’ überlassen. Sondern dass es auch ‘Linux-Admins’ gibt, die selbst Linux erfolgreich laufen haben.
Und ich fand auch privat einen Fachmensch, welcher sagte: “Ich habe keine Ahnung von Autismus." Und ich meinte: “Wunderbar. Brauchen Sie auch nicht - ich brauche Sie für etwas anderes. Es reicht mir, wenn Sie mir zunächst glauben, dass ich mein eigenes Empfinden und Erleben wirklich empfinde und erlebe."
Das tat er.
Und nicht nur das. Er las sich tatsächlich in Empfehlungen von mir ein. Und lernte dadurch auch von anderen Autist*innen und der kleinen Handvoll ‘Windows-Admins’, die ich guten Gewissens empfehlen kann. Weil diese sich wirklich eingelassen haben und auskennen mit anderen Betriebssystemen. Ohne den Drang, nur die Windows-Tools anzuwenden. Oder am liebsten gleich eine Neuinstallation starten wollen…
Und gestern hatte ich so eine Erkenntnis - wie abgefahren das doch eigentlich ist.
Dass ich schon immer anders war. Doch mit so viel Druck zum “normal-Verhalten" gebracht wurde.
Und teils scheinen die Dokus, die es zum Thema Autismus im Fernsehen und auf YouTube gibt, privilegierte Menschen zu zeigen. Menschen, bei denen es okay ist, anders zu sein. Und die sich daher schon genug zu freuen scheinen, ihre Diagnose und damit eine Erklärung zu haben.
Während die nicht-autistischen medizinischen Expert*innen mit leichtem Stolz der Kamera ihre Fähigkeit präsentieren, “das an anderen zu erkennen". Und ihr Skillset, “auch ‘solchen' Menschen ein ‘normales' Leben zu ermöglichen"…
Damit gaben sich bisher alle Dokus, die ich sah, irgendwie zufrieden…
Liebe Fach-Menschen, bitte lest und beschäftigt euch auch mit Werken direkt betroffener Menschen.
Es muss stoppen, dass "an” Autist*innen geforscht wird. Es muss "mit” Ihnen geforscht werden.
Naja. Vielleicht werde auch ich bald für eine Doku interviewt zum Thema Autismus. Angefragt war ich schon – auch wenn daraus am Ende nichts wurde.
Ich überlege, ob ich ein schönes Ende für diesen Text finde.
Ich glaube… nein. Ähnlich wie für das Beschriebene weiß ich nicht, wie das gut zu Ende zu bringen ist.
Und doch habe ich gerade eine leichte Freude in mir. Weil ich die bisher beste Erklärung habe für das von mir Erlebte.
Und ich freue mich darauf, etwas mehr noch am System zu rütteln. Mit anderen an einem Ort zu arbeiten, an dem wir frei werden dürfen. Anders sein dürfen. Und gleichzeitig gleichwertig.
